(von Rudolf Isler, Geigenbaumeister)

Zuerst möchte ich ein paar hartnäckige Missverständnisse ausräumen:

1. die Barockgeige wird immer wieder als „Kurzhalsgeige“ bezeichnet. Das ist darum falsch, weil es nach meiner Erfahrung etwa gleich viele originale Hälse in der modernen Länge gibt. Richtig ist: es gab kein verbindliches Mass in der Zeit vor 1800!

2. ebenso falsch ist es, zu behaupten, die barocken Hälse seien alle flach aufgesetzt (ohne Winkel zur Korpusachse) und sie seien dick und unbequem.

3. ganz falsch ist auch die häufig gehörte Meinung, Barockgriffbretter, Saitenhalter und Stege seien flacher (in Querrichtung) als moderne. Das ist spieltechnisch ein Unsinn.

4. ganz falsch ist es auch, ein hoch gewölbtes Instrument als Barockgeige zu bezeichnen, nur weil es sogenannte „barocke Formen“ hat.
Auf den ersten Blick ist die Barockgeige gar nicht so leicht zu unterscheiden von der modernen. Ich will der Reihe nach auf die baulichen Merkmale der Barockgeigen eingehen:

der Hals – ist stumpf auf die Zargen aufgesetzt (statt eingesetzt in den Oberklotz). Er ist geleimt und zusätzlich genagelt. (3 Nägel in Italien, 1 Nagel in Deutschland).

der Halswinkel – ist vor 1800 nicht definiert. Flacher aufgesetzte Hälse und auch steilere kommen vor. Es ist nicht möglich, aus den unverändert gebliebenen Originalen einfache Rezepte nach dem Motto „man nehme“ abzuleiten.

der Bassbalken: – er ist mehrheitlich feiner und kürzer, was den Nachhall und die Ansprache begünstigt. In Innsbruck war in diesem Jahr eine Stainer-Geige ausgestellt (eine der beiden original erhaltenen Geigen!) und dokumentiert: der originale Balken ist 5 mm hoch, 4 mm dick und hat eine Länge von ca. 23 cm .

das Griffbrett: es hat (bei Geigen) die Länge von ca. 2 Oktaven. Das sind nur etwa 24.5 cm gegenüber 27 cm bei der modernen Geige. Oft sehen wir bei alten Instrumenten die Originallänge anhand des ausgebleichten Lackbildes auf der Decke. Je nach Halswinkel ist das Griffbrett mehr oder weniger keilförmig gearbeitet, um den Saiten zu ermöglichen, die Höhe des Steges zu erreichen.
Es ist sehr wichtig, dass der Kern aus Fichte besteht. Fichte leitet den Schall in Längsrichtung mit über 6000 m/sek. und ist ja schliesslich das Klangholz par excellence. Ebenholz ist langsamer und leitet den Schall mit weniger als 5000 m/sek. Ein furniertes Griffbrett mit Fichtenkern klingt also einfach besser und liefert einen wesentlichen Beitrag zum sog. „Originalklang“. Um den Fichtenkern herum wird Hartholz geleimt, seitlich z.B. Birnbaum, Ahorn, Schlangenholz, Ebenholz – und oben drauf ein Ebenholzfurnier von ca. 1,6mm.
Das Griffbrett kann auch mit Intarsien verziert werden, hier liegt ein weites Feld von Kunsthandwerk!

Saitenhalter: – furniert mit Ebenholz oder aus Hartholz. Feinstimmer gibts nicht – die Darmsaiten lassen sich gut mit den Wirbeln stimmen.

Steg: – eine Vielfalt von Modellen existiert. Alle funktionieren und klingen etwas anders. Lassen Sie sich verschiedene Modelle zeigen und profitieren Sie von unserer Erfahrung!

Saiten: – unsere Werkstatt hat sich ausschliesslich auf die Saiten von Damian Dlugolecki spezialisiert, auf denen man mehrere Wochen ohne Probleme spielen kann. Sie halten auch die Stimmung gut, ausser bei sich schnell ändernder Luftfeuchtigkeit. Falls feuchte Hände die Saiten dauernd auffasern lassen, wählen Sie die lackierte Version.
Zusammenfassung:

All die genannten baulichen Besonderheiten und die Saiten sind verantwortlich für den „Barockklang“. Dieser ist nicht nur obertöniger, transparenter, farbenreicher, er fasziniert durchaus auch ohne Vibrato ! Als Spieler geht es mir mit dem reichen Nachhall so, als würde mir eine gute Fee zu jedem Ton den ich anstreiche noch eine kleine klangliche Zugabe gratis mitliefern. Oder technischer ausgedrückt: das System spricht sehr leicht an und der Klang lässt sich mit minimaler Energie weiterspinnen.
Bei all dem Loblied auf den Barockklang darf natürlich der Bogen nicht vergessen werden: der Barock- oder Klassikbogen hat einen ganz entscheidenden Anteil am Zustandekommen dieses typischen Klanges.

Dezember 2003 Rudolf Isler